Puzzleteile

„Puzzled“ sein heißt verwirrt, verblüfft, ratlos oder verwundert sein (laut Linguee). Setzt man die Teile zusammen, sieht man irgendwann das ganze Motiv und versteht. Aus der anfänglichen Herausforderung entwickelt sich der Spaß der kleinen Erfolge und schließlich der Vollendung. So ungefähr funktioniert auch Kommunikation über Dinge, die wir nicht kennen, also auch über Kunstwerke. „Digitales“ und „Analoges“ sind Puzzleteile dieser Verständigung über sprachlich nicht restlos Fassbares. Was ich mir da an welcher Stelle wünschen würde? Natürlich immer das Passende …

Eine Ausstellung zu genießen ist möglich, ohne sie zur Gänze zu „verstehen“. Verstehen muss nicht über Sprache oder gar Schrift funktionieren. In diesem Artikel möchte ich an einem Beispiel zeigen, wie für mich Kommunikation über Kunst in Ausstellungen funktioniert und was mir da manchmal fehlt. Nachdem ich sowohl „für“ Analoges wie Digitales bin, muss ich jetzt wohl genauer werden, damit Sie mich verstehen!

Ausstellungsinhalte vermitteln

Für die Gestaltung und die so genannte Vermittlung von Ausstellungen entstehen Konzepte, die um die präsentierten Dinge kreisen. Was zu diesen Dingen der Besucher*in bewusst mitgeteilt wird, entscheidet die Person, welche die Dinge am besten kennt. Nicht die Person, welche die Besucher*in am besten kennt … Aber dieses Fass wollte ich heute nicht aufmachen, und vielleicht wird das edu-Team (Museumspädagog*innen? Kunstvermittler*innen? Wissenschaftsvermittler*innen? …) ja einbezogen in die Überlegungen dazu, was aus der Unzahl an Informationen über die Objekte man wie den Besucher*innen zugänglich machen will. Sie ahnen es schon – das kann natürlich sich nur von den Dingen aus entwickeln und an verschiedene, erwartete Besucher*innen richten. Jedes Objekt und die ausgewählten Informationen dazu können sich auf ihre je eigene Weise „äußern“. Nichts wird für jede Besucher*in interessant oder verständlich sein, aber ein guter Schnitt sollte doch für jede anzunehmende Person herauskommen, ein Schnitt, der sie sagen lässt:“Das war gut verbrachte Zeit. Ich fühle mich erfrischt.“ Oder Ähnliches, ich operiere hier, wie könnte es anders sein, mit meinen Begriffen und Erfahrungen.

Es geht mir im Folgenden nicht um die Inhalte der Ausstellung im Sinne einer Rezension, sondern um die kommunikativen Puzzleteile, mit denen üblicherweise in Ausstellungen gearbeitet wird.

Der erste Moment: Besucher*innen einstimmen

Durchdeklinieren möchte ich das an der Ausstellung „Grüner Himmel, Blaues Gras“ die noch bis Ende August im Frankfurter Weltkulturenmuseum zu sehen ist. Im Erdgeschoss geht es im weitesten Sinne darum, Farben zu benennen und Bedeutungsfeldern zuzuordnen. Ich komme herein und sehe mich in einem Nebenraum dieser Wand gegenüber:

Da hängen Karten, die von Besucher*innen ausgefüllt wurden.
Farbkarten, die man selbst beschriften kann.

Volltreffer! Optisch angezogen trete ich näher, lese die handschriftlichen Bemerkungen auf den Karten und bin sofort bei den Besucher:innen, die schon hier waren. Wer hat das wohl geschrieben, wie sah er oder sie aus? War die Person allein hier oder in einer Gruppe? Was hat sie wohl hierhergebracht? Und was verbindet mich mit ihrer Benennung einer Farbe, was kann ich verstehen, was finde ich poetisch oder rau? Im gleichen Moment weiß ich, dass meine Karte gelesen werden wird, und dass es den Ausstellungsmacher*innen wichtig war, uns Besucher*innen einzubinden, uns ernst zu nehmen. Ohne uns, unsere Sicht, unsere Sprache geht die Ausstellung nicht. Super, Karte ausgefüllt, hingehängt, gut gefühlt. Farbwand? Funktioniert!

Inklusion – das ist halt immer so aufwendig, oder?

Und was macht jemand, der nicht lesen kann? Der blind ist? Oha, es geht um Inklusion. Nun, bestenfalls ist diese Person nicht alleine hier und kommt ins Gespräch. Oder sie bittet eine Mitarbeiter*in der Aufsicht um Hilfe – ich wurde sehr freundlich angesprochen, wenn ich ratlos wirkte, das klappte prima. Und wie wäre es, wenn man an einer Hörstation die Worte für eine Farbe in verschiedenen Sprachen hören könnte, evtl. untermalt von einem passenden Geräusch, dem Rauschen Meeres, dem Gesang eines Vogels, dem Geräusch einer splitternden Nuss oder eines klackernden Kiesels? Wie wäre es, wenn ich selbst ein Farbwort einsprechen könnte? Das wäre „funktioniert“ plus X. Kein Platz für eine Audio-Station? QR-Code zum Anhören, anschließend die Einladung, das Wort mit dem eigenen Smartphone aufzunehmen und an eine Mailadresse zu senden, damit der Track dem Fundus des Hörbaren hinzugefügt werden kann. Das wäre für alle Besucher*innen machbar, also total inklusiv.

Die Dinge sprechen – die Medien auch?

Und jetzt, im nächsten, ersten Hauptraum sprechen die Dinge für sich: Additive und subtraktive Farbmischung, gezeigt, nicht erklärt.

Hinten additive, vorne subtraktive Farbmischung

Passt. Die Prismen, die auf der gegenüber liegenden Seite des Raumes stehen, erzeugen wahre Farborgien den Rändern der schwarzen und weißen Flächen, die man durch sie hindurch betrachten kann. Ich kann mich kaum trennen. Physik anschaulich präsentiert? Funktioniert!

Dann die erste Vitrine mit diesen wunderschönen Dingen, die mit Bezug zu den an der Wand dahinter hängenden Fotos arrangiert sind. Farben werden offensichtlich nach Dingen benannt, und farbige Oberflächen werden nach Material unterschieden. Vitrine plus Fotos? Funktioniert.

Korrespondenzen betreffen nicht nur die Farben, sondern auch die stumpfe, glänzende oder irrisierende Oberfläche.

Weiter geht es mit dem Symbolcharakter von Farben in anderen Kulturen und Religionen. Ich lese mal die Raumtexte. HM. Funktioniert mäßig, in jedem Fall wunderschön gemalt. Ich schau mal ins Begleitheft, da geht es um die Farben der christlichen Kirche. Das funktioniert nicht. Was hätte ich denn gebraucht? Mir fehlt eine kurze Präzisierung des in der Ausstellung präsentierten Ausschnitts an religiösen Kunstwerken aus einem riesigen, mir unbekannten geografischen und kulturellen Feld, indisch, buddhistisch, hinduistisch. Was sehe ich denn da? Eine Begründung, warum diese Werke ausgewählt wurden, wäre fein – sind die Farben hier besonders repräsentativ für die „indische“ (oder welches Volk, welchen Kultur- und Sprachraum) Kunst eingesetzt? Sind die Malereien handwerklich besonders herausragend? Wer sieht diese Werke dort, wo sie herkommen, zu welchen Menschen spricht das (Zu allen? Zu einer Elite?)?

Dazu gehört natürlich ein Begleitheft

Das Begleitheft assoziiert munter und durchaus anregend vor sich hin. Der einleitende Text beginnt schon gleich mit einem Missverständnis: „Alle Menschen sehen – naturwissenschaftlich betrachtet – das Gleiche, …“. Nein, das tun sie nicht. Mai Thi Nguyen Kim erklärt, warum. 

Ich hätte mir im Begleitheft den deutlichen Hinweis gewünscht, dass die Assoziationen zu den Themen der einzelnen Ausstellungsräume aus der Sicht der Ausstellungsmacher*innen entstanden sind. Denn ohne ihn mag der Eindruck entstehen, es handelte sich tatsächlich um „Analogien“ (Zitat), also um Sichentsprechendes, wenn z. B. zur farbigen Darstellung Buddhas die Farben des Kirchenjahres gesellt werden.

Oder wie im nächsten Raum die weißen Flecken auf der Landkarte zum Bereich der Geister. Augenfällig wird die farblich repräsentierte Ordnung in der „Welt der Federn“ in der Ausstellung durch Fotos von einem Dorf der Kayapó. Der schützende Häuser-Kreis rund um den Dorfplatz mit Männerhaus, das Ganze umgeben von Urwald entspricht der Kronenform. Foto? Funktioniert! 

Im Begleitheft werden zum weißen Federrand der Kronen die weißen Flecken auf Landkarten assoziiert, die unbekanntes oder ungenutztes Terrain anzeigen. Das kann einfach keine Analogie zu dem Bewusstsein der Urwaldbewohner*innen sein, welche die Abläufe der Natur kennen, sie nutzen und dabei trotzdem (deswegen?) die Geister fürchten. Mir kommt das Wort Ehr-Furcht in den Sinn, man kann ehren und gleichzeitig fürchten.

Die Aussagen im Begleitheft bespreche ich hier nicht weiter. Es ist eine interessante kleine Lektüre im Nachgang zur Ausstellung, die mir leider nicht geholfen hat, an den Stellen ausreichende Informationen zu bekommen, wo die anderen Medien und die Dinge allein nicht genug sprachen.

Ich konnte mir nur wenige Zusammenhänge merken. Die Exponate sprechen mich fast alle an, und sie bleiben zum Teil ein Konglomerat, das bald wieder aus meinem Gedächtnis verschwindet. Den Katalog zu kaufen, würde dem wahrscheinlich abhelfen, die Expertìnnen für die Dinge äußern sich da ausführlich und bebildert. Der ist aber kein Begleitmedium zur Ausstellung.

Ein Video sagt mehr als tausend Worte

Sie fragen sich, wann es denn ums Digitale gehen soll? Ich nehme Sie noch kurz mit nach oben in den Raum, der im Begleitheft „Eine Farbe des Charakters“ heißt. Es geht um javanische Schattenspielfiguren, und sie sind zum Teil allerliebst vor einer weißen Schattenwand in der Raummitte angeordnet. Ein und dieselbe Figur kann unterschiedliche Farben haben, manche bekommen aber auch einen guten oder bösen oder zornigen Rollencharakter und eine bestimmte Farbe zugewiesen. Das teilen mir die Raumtexte mit. Schattenspiel. Das Publikum sieht eine Aufführung, darin die Silhouetten, nicht die Figuren. Es hat keine Ahnung, welche Farben die Figuren haben – oder doch? Kennen alle Zuschauer*innen die Stücke auswendig und wissen, wann der Prinz weiß und wann er grün ist? Für wen spielen die Figuren und bei welchen Gelegenheiten? Der ganze Kontext fehlt, und er wäre recht einfach zu geben gewesen: Durch ein kurzes Video von einer Aufführung, oder evtl. mehreren, bei deutschem Marionettentheater würde ich jetzt sagen: Auf dem Land von einer mobilen Truppe, in der Stadt in einem festen Theater, eine traditionelle, eine moderne, eine für Kinder, eine für Erwachsene. Und bitte mit Plakat und Publikum, so dass ich mir ein Bild davon machen kann, bei welcher Gelegenheit welche Menschen hierzulande in welcher Weise Marionettentheater rezipieren. Und welche Rolle die Farbe der Figuren dabei spielt.

Über diese unglaublich schönen, teils auch skurrilen javanischen Figuren hätte ich gerne mehr gewusst, präziser gesagt: Anderes, damit sie besser in meinem Gedächtnis haften bleiben. Das Video gibt es nicht, ebensowenig einen QR-Code, mit dessen Hilfe ich mir eines ansehen und verfolgen kann, wie die Figuren eingesetzt werden. Ein kleiner Aufwand mit großer Wirkung wäre das gewesen.

Fazit

Es war gut verbachte Zeit und ich fühlte mich erfrischt. Ich fühlte mich zum Teil einbezogen und meistens auf unterschiedlichen Niveaus angesprochen. Stellenweise war ich puzzled. Einige Teile konnte ich nicht finden. Mein Ganzes heißt:„Ich liebe Farben, andere Menschen tun das auch. Anderswo gehen die Farb-Uhren anders und es ist interessant, sich darauf einzulassen.“ Da ist wohl noch Luft nach oben, und ich bin zuversichtlich, dass Museen, Ausstellungsmacher*innen und edu-Teams weiterhin Puzzles entwicklen werden, in denen die Besucher*innen immer mehr Teile zusammensetzen können.

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